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Grundzüge des französischen Kündigungsrechts

Rechtsanwalt Dr. Dirk Roger Rissel, LL.M. 

* * *

1. Überblick

Auch das französische Arbeitsrecht kennt die ordentliche und die außerordentliche Kündigung.

Die ordentliche Arbeitnehmerkündigung (démission) ist jederzeit und ohne Angabe von Gründen möglich. Der Arbeitnehmer muß die gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfristen einhalten.

Die ordentliche Arbeitgeberkündigung (licenciement) ist hingegen nur bei 
· Vorliegen eines (ernsthaften) Kündigungsgrundes 
· und unter Einhaltung der Kündigungsfristen 
· und unter Einhaltung eines förmlichen Verfahrens zulässig.

Die fristlose Arbeitgeberkündigung ist nur bei Vorliegen eines groben Verschuldens seitens des Arbeitnehmers möglich.
 

2. Die ordentliche Arbeitgeberkündigung

Die Bestimmungen zur ordentlichen Kündigung sind durch die Gesetze vom 13.07.1973 (loi n° 73-680; Journal Officiel vom 18.07.1973) und vom 30.12.1986 (loi n° 86-1320; Journal Officiel vom 31.12.1986)  in den Code du Travail eingefügt worden.

Ein förmliches Kündigungsverfahren ist danach zwingend: Im Vorfeld einer beabsichtigten Kündigung muß der Arbeitnehmer durch Einschreibebrief über die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers informiert werden. Gleichzeitig müssen dem Arbeitnehmer Datum, Ort und Zeitpunkt des Kündigungsgesprächs mitgeteilt werden. Der Arbeitnehmer muß die Möglichkeit haben, eine Person seiner Wahl zu dem Gespräch hinzuzuziehen. Nur wenn die Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen von mindestens 10 Arbeitnehmern innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen ansteht und im Unternehmen ein Betriebsrat oder eine Personalvertretung besteht, darf auf dieses formelle Kündigungsverfahren verzichtet werden (Art. L 122-14 Code du Travail).

Zweck des Kündigungsgesprächs ist es, die Arbeitsplatzsituation mit dem Arbeitnehmer zu erörtern, auch um Möglichkeiten zu überprüfen, wie die beabsichtigte Kündigung doch noch vermieden werden kann. Während der Arbeitnehmer an diesem Gespräch persönlich teilnehmen muß (er kann sich eines Beistands bedienen), kann sich der Arbeitgeber in diesem Gespräch vertreten lassen.

Will der Arbeitgeber auch nach dem Gespräch weiter an der Kündigung festhalten, muß er dies dem Arbeitnehmer per Einschreibebrief mitteilen. Zwischen dem Kündigungsgespräch und der schriftlichen Kündigung muß allerdings ein Zeitraum von sieben Tagen liegen. Bei einem leitenden Angestellten beträgt diese (Überlegungs-)frist 15 Tage, sofern es sich um eine wirtschaftlich bedingte Kündigung handelt. Gibt es im Unternehmen keine Arbeitnehmervertretung betragen die Fristen 4 bzw. 12 Tage (Art. L 122-14-1. Code du Travail) .

Im Kündigungsschreiben sind die Kündigungsgründe darzulegen (Art. L 122-14-2 Code du Travail).
 

3. Kündigungsgründe

Erhebt der Arbeitnehmer gegen die Kündigung Klage, so prüft das Arbeitsgericht das Vorliegen einer cause réelle et sérieuse de licenciement (Art. L 122-14-3 Code du Travail).

Während es sich bei der cause réelle um einen objektiven nachvollziehbaren Kündigungsgrund handelt, bedeutet die cause sérieuse eine bestimmte (subjektive) Sehweise des Kündigungssachverhalts, der den Arbeitgeber zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwingt. Die Kriterien der cause réelle und der cause sérieuse müssen kumulativ vorliegen. Ein Fehlverhalten (faute) des Arbeitnehmers hingegen muß nicht vorliegen. Die fehlende berufliche Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers (insufficance professionelle) beispielsweise stellt keinen Mangel/Fehlverhalten seitens des Arbeitnehmers dar, bedeutet gleichwohl eine cause réelle et sérieuse. Gleiches gilt für Unstimmigkeiten zwischen zwei Mitarbeitern eines Unternehmens, die ursächlich sind für Betriebsablaufstörungen.

Ein Fehlverhalten (faute) eines Arbeitnehmers kann andererseits ursächlich sein für eine cause réelle et sérieuse. In der Rechtsprechung wird zwischen verschiedenen Graden des Fehlverhaltens unterschieden: dem schadensstiftenden Fehlverhalten (faute lourde), dem schwerwiegenden Fehlverhalten (faute grave) und dem leichten Fehlverhalten (faute légère).
Das schwerwiegende Fehlverhalten (faute grave) rechtfertigt eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses, während das leichte Fehlverhalten (faute légère) keine cause réelle et sérieuse darstellt und lediglich eine disziplinarische Maßnahme rechtfertigt.

Die aus wirtschaftlichem Grund ausgesprochene Kündigung (licenciement pour motif économique) wurde durch Gesetz vom 2.8.1989 (loi n° 89-549; Journal Officiel vom 08.08.1989) definiert (L 321-1 Code du Travail). Bei einer Kündigung aus diesem Grund ist ein formelles Verfahren einzuhalten, das von dem unter 2. beschriebenen Verfahren abweicht. Es gibt drei unterschiedliche Verfahren:

Bei der Entlassung eines Arbeitnehmers aus wirtschaftlichem Grund gilt im wesentlichen das unter 2. dargestellte Verfahren.

Bei der Entlassung von zwei bis maximal neun Arbeitnehmern innerhalb einer Frist von 30 Tagen gilt:
Als erstes ist der Betriebsrat oder die Personalvertretung über die beabsichtigte Kündigung zu informieren. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, im Zeitraum zwischen der Information des Betriebsrats und der Betriebsratssitzung alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Auf die Betriebsratssitzung folgt dann das Kündigungsgespräch mit dem zu kündigenden Arbeitnehmer. Danach kann die Kündigung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sieben Tagen ausgesprochen werden. Innerhalb einer Frist von acht Tagen ist die Arbeitsverwaltung über die Kündigung zu informieren.

Bei einer Entlassung von mehr als 10 Arbeitnehmern innerhalb einer Frist von 30 Tagen ist zu unterscheiden:
Bei einem Unternehmen mit bis zu 50 Arbeitnehmern ist die Betriebsvertretung über die beabsichtigte Kündigung zu informieren. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Betriebsrat alle notwendigen Informationen und Unterlagen zu geben.
Hat das Unternnehmen mehr als 50 Arbeitnehmer, muß der Arbeitgeber dem Unternehmen noch zusätzlich einen Sozialplan vorlegen. Es finden zwei Sitzungen des Betriebsrats bzw. der Personalvertretung statt, wobei zwischen den beiden Sitzungen je nach Anzahl der zu kündigenden Arbeitnehmer 7 Tage (bei mindestens 10 und höchstens 99 Arbeitnehmern), 14 Tage (bei mindestens 100 und höchstens 250 Arbeitnehmern) oder 21 Tage (bei mehr als 250 Arbeitnehmern) liegen müssen.

Der Betriebsrat oder die Personalvertretung können sich durch einen Buchprüfer beraten lassen. Die Kosten des Buchprüfers trägt das Unternehmen.

Im Rahmen des Entlassungsverfahrens ist die Arbeitsverwaltung zu beteiligen und zu informieren. Ihr kommt eine Kontrollfunktion hinsichtlich der Einhaltung des formellen Verfahrens zu. Stellt die Arbeitsverwaltung fest, daß das formelle Verfahren auf Seiten des Arbeitgebers nicht beachtet wurde, wendet sie sich schriftlich an den Arbeitgeber und fordert diesen zu einer schriftlichen Stellungnahme auf. Vor Zugang dieser schriftlichen Stellungnahme darf die Kündigung nicht ausgesprochen werden.
 

4. Rechtsfolgen einer unwirksamen Kündigung

Hinsichtlich der Rechtsfolgen einer unwirksamen Kündigung ist danach zu unterscheiden, ob der Arbeitgeber gegen die Vorschriften des formellen Kündigungsverfahrens verstoßen hat oder ob die Kündigung mangels eines Kündigungsgrundes unwirksam ist.

Wird die Kündigung auf eine cause réelle et sérieuse gestützt, das formelle Kündigungsverfahren jedoch nicht eingehalten, kann der Arbeitgeber vom Arbeitsgericht verurteilt werden, zunächst das formelle Verfahren durchzuführen. Im Arbeitsgerichtsverfahren muß der Arbeitnehmer dies jedoch ausdrücklich beantragen. Tut er dies nicht, so geht das Gericht davon aus, daß der Arbeitnehmer nicht an der Durchführung des formellen Verfahrens interessiert ist. 

Stützt sich der Arbeitgeber bei der Kündigung zu Recht auf eine cause réelle et sérieuse, setzt das Arbeitsgericht eine Entschädigung von maximal einem Monatsgehalt fest (Art. L 122-14-4 Code du Travail). 
Dies gilt dann, wenn das Unternehmen mehr als 10 Arbeitnehmer hat und der gekündigte Arbeitnehmer mehr als zwei Jahre beschäftigt war (Art. L 122-14-5 Code du Travail).
Arbeitnehmer in Unternehmen mit weniger als 11 Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmer mit weniger als zwei Jahren Betriebszugehörigkeit können im Falle einer mißbräuchlichen Kündigung eine Entschädigung verlangen, die im Verhältnis zu dem erlittenen Schaden ermittelt wird (Art. L 122-14-5 Code du
Travail).

Ist die Kündigung ungerechtfertigt, weil keine cause réelle et sérieuse vorliegt, kann das Arbeitsgericht die Wiedereinstellung (réintegration) des Arbeitnehmers vorschlagen (Art. 122-14-4 Code du Travail). Eine Wiedereinstellung ist allerdings gegen den Willen des Arbeitnehmers nicht möglich. Erfolgt keine Wiedereinstellung, weil einer der Parteien dies ablehnt, spricht das Arbeitsgericht dem Arbeitnehmer eine Entschädigung (indemnité) in Höhe von mindestens sechs Monatsgehältern zu (Art. L 122-14-4 Code du Travail).

5. Arbeitgeberkündigung eines Arbeitnehmers bei der ausländischen Tochtergesellschaft einer französischen Muttergesellschaft

Art. L-122-14-8 Code du Travial enthält eine Regelung für den Fall der Kündigung eines Arbeitnehmers, der von der französischen Muttergesellschaft eingestellt wurde und dann bei einer ausländischen Tochtergesellschaft mit Zustimmung der Muttergesellschaft einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat.

Wenn die Tochtergesellschaft den Arbeitnehmer entläßt, muß die Muttergesellschaft dem Arbeitnehmer einen neuen Arbeitsplatz anbieten, der in seiner Bedeutung dem Arbeitsplatz entspricht, den der Arbeitnehmer vor seiner Auslandstätigkeit innehatte (Art. L-122-14-8 Abs. 1 Code du Travail). 

Ist die Muttergesellschaft nicht bereit, den Arbeitnehmer wieder einzustellen, gelten die oben dargelegten Kündigungsregeln. Die Zeiten, in denen der Arbeitnehmer bei der ausländischen Tochtergesellschaft tätig war, sind sowohl bei den Kündigungsfristen als auch bei der Entschädigungszahlung zu berücksichtigen (Art. L-122-14-8 Abs. 2 Code du Travail). 

6. Ausblick

Die von Frankreichs Linksregierung geplante Ausweitung des Kündigungsschutzes ist vorläufig gescheitert. Der Verfassungsrat (Frankreichs höchstes Gericht) hat im Januar 2002 die im Jahr 2001 auf Druck der Kommunisten durchgesetzte Verschärfung des französischen Kündigungsrechts annulliert. Auslöser für die Verschärfung des Kündigungsrechts waren Massenentlassungen beim Lebensmittelhersteller Danone, bei Michelin und der Kaufhauskette Marks & Spencer. Nach diesen Massenentlassungen wollte Premierminister Lionel Jospin betriebsbedingte Kündigungen nur noch erlauben, wenn ohne Entlassungen das Überleben des Unternehmens gefährdet wäre. Außerdem sollte die Verhandlungspflicht der Sozialpartner verlängert werden. Angerufen von den konservativen Oppositionsparteien urteilte das Gericht, das neue Gesetz schränke die unternehmerische Freiheit unzulässig ein und sei deshalb verfassungswidrig. Durchsetzen konnte sich Jospin allerdings mit seinem Vorstoß, die gesetzliche Abfindung pro Jahr Betriebszugehörigkeit zu verdoppeln. Damit steigt die Entschädigung, die Unternehmen ihren Mitarbeitern im Falle einer betriebsbedingten Kündigung zahlen müssen, von 10 % auf 20 % des Jahreseinkommens, multipliziert mit der Anzahl der Jahre der Betriebszugehörigkeit. Die konservativen Parteien haben angekündigt, das Kündigungsrecht im Falle eines Wahlsieges lockern zu wollen. Konkrete Vorschläge haben sie allerdings bislang noch nicht vorgelegt.
 

Aktualisierung: April 2002

 


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