Frankreich – Das
Gesetz zur Einführung der 35-Stundenwoche
Ein Überblick über
wesentliche Bestimmungen
Rechtsanwalt
Dr. Dirk Roger Rissel, LL.M.
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|Grundsatz der
Arbeitszeitverkürzung| |Maximale Wochenarbeitszeit| |Jahresarbeitszeit|
|Effektive
Arbeitszeit| |Überstundenzuschläge| |Überstundenkontingent|
|Finanzielle
Vergünstigen für Unternehmen| |Mindestlohn| |Geltung
des Gesetzes für leitende Angestellte|
|Urlaub|
|Arbeitszeitkonto| |Ausbildung außerhalb
der effektiven Arbeitszeit|
|Kündigung
wegen Widerstands gegen die 35-Stundenwoche|
|Fortgeltung
bestehender Umsetzungs-Kollektivverträge|
1.
Grundsatz der Arbeitszeitverkürzung
Seit dem 1. Januar 2000 beträgt die gesetzliche
Wochenarbeitszeit für Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitnehmern 35
Stunden, statt bis dahin 39 Stunden. Für Unternehmen mit weniger als 20
Arbeitnehmern gilt die neue gesetzliche Wochenarbeitszeit seit dem 1.
Januar 2002.
2.
Maximale Wochenarbeitszeit
Ungeachtet der gesetzlichen Normalarbeitszeit von
35 Wochenstunden dürfen Arbeitnehmer – im Wege von Überstunden – maximal
bis zu 44 Stunden in der Woche über maximal 12 aufeinanderfolgende Wochen
pro Jahr zu arbeiten. In Kollektivverträgen kann die Obergrenze von 44
Stunden auf 46 Stunden erhöht werden.
3.
Jahresarbeitszeit
Soweit die 35-Stundenwoche im Rahmen eines
Kollektivvertrages auf Jahresbasis eingeführt wird, beträgt die
Jahresarbeitszeit maximal 1.600 Stunden. Dies entspricht 52 Wochen,
abzüglich des gesetzlichen Urlaubs von 5 Wochen und 11 öffentlichen
Feiertagen. Arbeitsstunden, die über die Jahresarbeitszeit hinaus
geleistet werden, zählen als Überstunden.
4.
Effektive Arbeitszeit
Pausen und Erholungszeit gelten als Arbeitszeit,
soweit der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber in dieser Zeit zur Verfügung steht
und seinen Direktiven unterliegt. Wenn eine bestimmte Arbeitskleidung
vorgeschrieben ist, ist für Umkleidezeit am Arbeitsplatz ein zeitlicher
oder finanzieller Ausgleich zu gewähren.
5.
Überstundenzuschläge
Für die 36ste bis zur 39sten Wochenarbeitsstunde
fällt ein Überstundenzuschlag von 25 % an, der grundsätzlich in Form von
Freizeitausgleich zu gewähren ist. In Kollektivverträgen kann auch die
Zahlung des entsprechenden Betrages an die Arbeitnehmer bestimmt werden.
Für das erste Jahr, in dem die 35-Stundenwoche in einem Unternehmen
eingeführt wird, gilt ein reduzierter Aufschlag von 10 %.
Für die 40ste bis zur 43sten Wochenarbeitsstunde
fällt ein Überstundenzuschlag von 25 % an, der grundsätzlich in Geld
auszugleichen ist. Kollektivverträge können auch einen entsprechenden
Freizeitausgleich vorsehen.
Ab der 44sten Wochenarbeitsstunde fällt ein
Zuschlag von 50 % an, der grundsätzlich in Geld auszugleichen ist.
Kollektivverträge können auch einen entsprechenden Freizeitausgleich
vorsehen.
6.
Überstundenkontingent
Die französische Regierung hat durch Dekret Nr.
2002 - 1257 vom 15.10.2002 die Zahl der gesetzlich erlaubten Überstunden
in der Wirtschaft vorübergehend von bisher 130 auf 180 pro Jahr erhöht
(Änderung von Artikel D212-25 Code du Travail). Bis Mitte 2004 sollen
Branchenvereinbarungen das Dekret ersetzen.
7.
Finanzielle Vergünstigen für Unternehmen
Das mit dem ersten Rahmengesetz zur
35-Stundenwoche eingeführte System staatlicher Prämien für Unternehmen,
die noch vor dem 1. Januar 2000 die 35-Stundenwoche einführen und dabei
eine Mindestzahl an neuen Stellen schaffen, gilt für die diese Bedingung
erfüllenden Unternehmen weiter und wurde für die übrigen Unternehmen seit
dem 1. Januar 2000 durch ein neues System abgelöst.
Nach diesem neuen System kommen Unternehmen in den
Genuß von Beitragssenkungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen, wenn sie
einen die 35-Stundenwoche einführenden Kollektivvertrag mit einer (oder
mehreren) Mehrheitsgewerkschaft(en), oder – falls solche nicht in dem
Unternehmen vertreten sind - mit einem von der Belegschaft zu diesem Zweck
ermächtigten Arbeitnehmervertreter abschließen. Es besteht keine konkrete
Verpflichtung mehr, die Arbeitszeitverkürzung in neue Arbeitsplätze
umzuwandeln. Es soll jedoch in dem Kollektivvertrag die Anzahl der neu
geschaffenen Arbeitsplätze festgelegt werden. Darüber hinaus soll eine
jährliche Bilanz neu geschaffener Arbeitsplätze erstellt werden.
8.
Mindestlohn
Der Einkommensverlust infolge der geringeren
Wochenarbeitszeit bei Beziehern des Mindestlohns wird durch staatliche
Ergänzungszahlungen ausgeglichen. Ferner ist eine jährliche Steigerung des
Mindestlohns in Höhe der Inflationsrate sowie des halben
Kaufkraftzuwachses von Arbeitslöhnen vorgesehen. Diese doppelte
Einkommenssicherung gilt bis maximal zum 1. Juli 2005. Auch neu
eingestellte Arbeitnehmer bzw. Teilzeitangestellte pro rata kommen in den
Genuß dieser Regelung.
9.
Geltung des Gesetzes für leitende Angestellte
Bei der Frage der Geltung des Gesetzes für
Leitende Angestellte ist zu differenzieren. Leitende Angestellte der
obersten Führungsebene (cadres dirigeants) werden von der
Arbeitszeitverkürzung nicht erfaßt. Die 35-Stundenwoche gilt also nicht.
Für leitende Angestellte, die in eine
Arbeitsgruppe integriert sind (cadres intégrés à une équipe de travail),
gilt die 35-Stundenwoche in vollem Umfang.
Für alle anderen leitenden Angestellten gilt die
35-Stundenwoche mit der Maßgabe, daß die Verkürzung der Arbeitszeit über
eine Verringerung der täglichen Arbeitszeit oder über freie Tage umgesetzt
werden kann. Im letzteren Fall dürfen maximal 217 Tage im Jahr gearbeitet
werden.
10.
Urlaub
Die Arbeitszeitverkürzung kann auch in Form von
vier zusätzlichen Wochen Urlaub oder einer entsprechenden Anzahl von
freien Tagen oder halben freien Tagen umgesetzt werden.
11.
Arbeitszeitkonto
Arbeitnehmer haben die Möglichkeit, die zu ihrer
Verfügung stehenden freien Tage (siehe Ziffer 10. Urlaub) auf einem
Arbeitszeitkonto „anzulegen“. Jährlich können maximal 22 Tage auf diesem
Arbeitszeitkonto angespart werden. Ein „Kontoausgleich“ hat grundsätzlich
innerhalb von 5 Jahren zu erfolgen.
12.
Ausbildung außerhalb der effektiven Arbeitszeit
Auf Initiative des Arbeitnehmers oder mit dessen
schriftlicher Zustimmung kann eine Aus- oder Weiterbildung auch außerhalb
der effektiven Arbeitszeit organisiert werden.
13.
Kündigung wegen Widerstands gegen die 35-Stundenwoche
Soweit sich ein oder mehrere Arbeitnehmer den
Modalitäten einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden widersetzen
und ihnen aus diesem Grund gekündigt wird, ist die Kündigung als Kündigung
aus persönlichen und nicht aus wirtschaftlichen Gründen anzusehen.
14.
Fortgeltung bestehender Umsetzungs-Kollektivverträge
Kollektivverträge, die zur Umsetzung des ersten
Gesetzes zur 35-Stundenwoche abgeschlossen wurden, gelten für die in ihnen
vereinbarte Laufzeit weiter, selbst dann wenn sie Bestimmungen enthalten,
die im Widerspruch zu dem zweiten Gesetz stehen, wenn sie
· dem Sinn des ersten Gesetzes zur 35-Stundenwoche entsprechen
· von den zuständigen Behörden für allgemeinverbindlich erklärt wurden
und
· keine „hinreichenden Allgemeininteressen“ entgegenstehen.
Kollektivverträge, die eine über 1.600 Stunden hinausreichende
Jahresarbeitszeit oder im Falle von Arbeitszeitkonten einen über fünf
Jahre hinausgehenden Ausgleichszeitraum festgelegt hatten, gelten damit
weiter. Nicht weitergelten konnte jedoch nach diesen Kriterien z.B. das
Abkommen in der französischen Metallindustrie vom Juli 1998 (Gründe: Aus-
und Fortbildungszeit zählt nach dem Abkommen nicht zur effektiven
Arbeitszeit und leitende Angestellte und weitere Arbeitnehmergruppen
können generell von der 35-Stundenwoche ausgenommen werden).
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