Kommentar zum Urteil des
Oberlandesgerichtes Hamburg
vom 13. Juli 1999, Aktenzeichen: 3 U 58/99
" mitwohnzentrale.de "
von Rechtsanwalt Tim Geißler
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Änderung in der
Rechtsprechung hinsichtlich der rechtmäßigen Verwendung von Gattungsbegriffen
als Domain:
Eine wirtschaftliche
Katastrophe oder ein Schritt in die richtige Richtung?
Vor einigen Tagen wurde das
Urteil des
Oberlandesgerichtes Hamburg vom 13. Juli 1999 veröffentlicht. Das OLG Hamburg
hat in der Berufungsinstanz, entgegen der bisherigen Rechtsprechung des OLG
Frankfurt CR 1997, Seite 271 ( wirtschaft-online.de - Entscheidung )
entschieden, daß für sogenannte Gattungsbegriffe ein Freihaltebedürfnis
besteht und daß diese nicht mehr – ohne individualisierenden Zusatz – im
Rechtsverkehr als Domain benutzt werden dürfen. Von der Entscheidung betroffen
sind somit solche Begriffe, die rein beschreibender Natur sind und global eine
ganze Branche, eine Produktart oder ein ganzes Dienstleistungsgebiet
beschreiben, wie z. B. "Mitwohnzentrale", "Strafrecht", "Automarkt", "Sex"
oder "Börse". Die Richter sehen hierin einen Verstoß gegen die Vorschriften
des Wettbewerbrechtes. Sie gehen davon aus, daß durch die Verwendung eines
Gattungsbegriffs als Domain eine unlautere Absatzbehinderung der
Mitbewerber eintritt, da der Verwender – der nicht die ganze Branche
repräsentiert – potentielle Kunden abfängt. Diese Auffassung wird damit
begründet, daß die Kunden häufig bei der Suche nach einem Anbieter direkt den
Gattungsbegriff als Domainnamen eingeben und so zufällig auf die Homepage des
Verwenders gelangen und sodann die Suche nach anderen Wettbewerbern – deren
genaue Domain sie nicht kennen – aufgeben und damit einen weiteren
Leistungsvergleich einstellen.
Wohl oder Wehe
Unstreitig dürfte sein, daß
diese Entscheidung für viel Aufregung im Kreis der Internet-Dienstleister
sorgen wird. Jeder Domainbesitzer, der derzeit einen Gattungsbegriff als
Domainnamen verwendet, muß fürchten, nunmehr abgemahnt zu werden und auf
Unterlassung in Anspruch genommen zu werden. Kurzzeitig gesehen wird hierdurch
sicherlich eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit auf dem Markt der
Internet-Dienstleister auftreten. Anders als in den bekannten Fällen des
Domain- und Markengrabbings im Bereich der Domainreservierung konnten
Verwender von Gattungsbegriffen bisher sicher sein, daß ihnen diese Domain von
Dritten nicht streitig gemacht werden kann ( OLG Frankfurt CR 1997, Seite 271
sog. wirtschaft-online.de Entscheidung ). Rein beschreibende Begriffe des
alltäglichen Sprachgebrauches, somit auch Gattungsbegriffe, unterliegen nach
dem Markengesetz einem Freihaltebedürfnis (§ 8 Markengesetz). Gewerbliche
Schutzrechte, wie Markenrechte oder Kennzeichenrechte konnten und können an
diesen Begriffen nicht begründet werden. Bisher bestand Einigkeit darüber, daß
die Vorschrift des § 8 MarkG nicht auf die Domainanmeldung übertragend
angewandt werden durfte, da es sich hierbei nicht um ein
markenschutzrechtliches Verfahren handelte. Der Domaininhaber eines solchen
Gattungsbegriffes konnte somit sicher sein, daß kein Dritter ein besseres,
gewerbliches Schutzrecht an dieser Bezeichnung hatte. Es ist wohl auch
anzunehmen, daß viele Domainbesitzer, Unternehmensgründer und
Internet-Dienstleister auf die Entscheidung des OLG Frankfurt vertraut haben
und deshalb eine generische Domain gewählt haben um den bekannten Konflikten
mit Markenrechten Dritter aus dem Weg zu gehen.
Diese Rechtssicherheit wird
durch die hanseatische Entscheidung eingeschränkt, sogar auf den Kopf
gestellt. Ein weiterer Kriegsschauplatz ist eröffnet und schafft Raum für
"Raubritter" die ein neues Betätigungsfeld entdecken und eine schnelle Mark
durch eine Abmahnung wittern.
Kurzfristig gesehen erscheint
die Entscheidung des OLG Hamburg als große – kostenintensive – Gefahr für den
Markt der Internet-Dienstleister, da neue Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert
sind, die bis hin zum wirtschaftlichen Ruin des Dienstleisters führen können.
Man stelle sich nur einmal vor, der Verwender der Domain "buecher.de" würde
erfolgreich auf Unterlassung des Gebrauchs der Domain in Anspruch genommen
werden. Nach dem Börsengang dieses Unternehmens wurden mehrere 10 Millionen DM
in die Bewerbung der Domain investiert. Sie stellt den größten Teil des
Firmenkapitals dieses Unternehmens dar. Es dürfte nur unter erheblichem
Kostenaufwand möglich sein, die User auf die Verwendung einer neuen Domain zu
konditionieren. Der Verfasser schließt sich bei der rechtlichen Beurteilung
dieses speziellen Falles allerdings der Meinung von Herrn Kaufmann
(Zeitschrift CT Heft 1/2000 Seite 70 ff) an. Der vorgenannten Firma dürfte von
dem Urteil des OLG Hamburg keine Gefahr drohen, da mittlerweile in der
Rechtsprechung wohl anerkannt sein dürfte, daß Domainnamen auch
Kennzeichenkraft im Sinne der §§ 5 und 15 Markengesetz haben und der Domain
"buecher.de" aufgrund der
überdurchschnittlichen Bekanntheit Namensrecht gemäß § 12 BGB zukommt. Dieser
Schutz kommt aber kleineren, unbekannteren Domains nicht zwingend zugute.
Nichts desto weniger stellt
das neue Urteil des OLG Hamburg einen drastischen Eingriff in den
Vertrauensschutz, die Grundsätze der freien Marktwirtschaft und die bisherigen
Marktgepflogenheiten dar.
Allerdings kann man der
Entscheidung des OLG Hamburg auch etwas Gutes abgewinnen. Langfristig gesehen
wird aus rechtspolitischer Sicht die Umstrukturierung der Domainvergabepraxis
in Deutschland erforderlich sein. Derzeit vergibt der DENIC e.V. auf
entsprechenden Antrag hin die Domain ohne Prüfung Rechte Dritter an den
Antragsteller, sofern die Domain noch nicht vergeben ist. Die Vergabe erfolgt
unabhängig davon, ob der Antragsteller irgendeinen rechtlichen Anspruch auf
den zu schützenden Begriff hat oder nicht. Nach Auffassung des Verfassers wird
es – unabhängig von der Entscheidung des OLG Hamburg - erforderlich werden,
das Recht zur Domainvergabe, möglicher Weise auf eine staatliche Stelle – z.
B. nach dem Muster des Patent- und Markenamtes in München – zu übertragen,
welche bestehende Rechte Dritter und auch die Schutzwürdigkeit des Begriffes
überprüft.
Eine andere Möglichkeit wäre
es, die Vergabepraxis umzuorganisieren, wie es z. B. in anderen europäischen
Ländern, insbesondere den Benelux-Ländern, Gang und Gebe ist. Dort kann sich
ein Antragsteller lediglich eine Domain schützen lassen, sofern sie mit seinem
natürlichen Namen, dem Namen seiner Firma oder seinem Geschäftskennzeichen
verwandt oder identisch ist. Hierdurch könnten dann auch die Fälle des "Domain
-" und "Markengrabbings" vermieden, zumindest jedoch reduziert
werden. Ebenfalls würde der Pool der reservierungsfähigen Domains wieder
größer, da ein Horten von mehreren Hundert Domainnamen ausgeschlossen wäre.
Eine solche Umstrukturierung,
bzw. Neuorganisation des bestehenden Domainvergaberechts erscheint allerdings
nur auf gesetzgeberischer Grundlage möglich. Der damit verbundene massive
Eingriff in die freie Marktwirtschaft, die bestehenden und ausgeübten
Gewerbebetriebe und Besitzstände wird allerdings zu Recht auf heftigste
Gegenwehr der etablierten Domaineigner stoßen.
Abschließend läßt sich sagen,
daß dieses Grundsatzurteil derzeit ein großes Streitpotenzial beinhaltet und
wie ein Damoklesschwert über einer Vielzahl von Domaininhabern schwebt. Die
positiven Aspekte und die möglicherweise richtige rechtspolitisch Aussage des
Urteils kommt nur dann zum tragen, wenn das erstrebte Ziel der Richter durch
Neuorganisation der Domainvergabepraxis gesetzgeberisch unterstützt wird.
Rechtsfolgen des Urteils
Unabhängig davon, ob das
Urteil des OLG Hamburg in der Revisionsinstanz vom BGH aufgehoben wird oder
nicht, hat es auch derzeit schon Auswirkungen auf den Rechtskreis der
Domaininhaber. Und dieses nicht nur auf den Bezirk Hamburg begrenzt, sondern
bundesweit. In Rechtsstreitigkeiten des gewerblichen Rechtsschutzes und des
Wettbewerbsrechtes gilt der sogenannter "fliegender Gerichtsstand". Das heißt,
daß gemäß §§ 32, 35 ZPO überall da geklagt werden kann, wo der Verstoß
bestimmungsgemäß wahrgenommen werden kann. Jeder Mitbewerber, der einen
Internetanschluß hat, kann grundsätzlich am Sitz seines Heimatgerichtes oder
auch wahlweise jeweils in Hamburg klagen. Insofern wird sich jeder angeblich
Verletzte in vergleichbaren Fällen auf das Urteil des Oberlandesgerichts
Hamburg berufen können.
Meines Erachtens nach werden
durch das hanseatische Urteil nur die Domaininhaber gefährdet, die den
Gattungsbegriff als Domainnamen schützen lassen und diesen mit Inhalten im
Internet verbunden haben. Domaininhaber, die sich lediglich einen
Gattungsbegriff haben reservieren lassen, über den allerdings keine Inhalte
erreichbar sind, dürften von den Auswirkungen des Urteils nicht berührt
werden. Die Richter haben dem Beklagten aufgrund eines Verstoßes gegen § 1 UWG
und dem so begründeten Freihaltebedürfnisses für Gattungsbegriffe die
Verwendung der Domain im geschäftlichen Verkehr untersagt. Ein Löschungs- oder
Herausgabeanspruch wurde in diesem Verfahren weder vom Kläger beantragt, noch
vom Gericht zugesprochen. Die Vorschrift des § 1 UWG begründet nur einen
Unterlassungsanspruch. M.E. nach wird derzeit kein Inhaber einer Domain eines
Gattungsbegriffes befürchten müssen, daß er erfolgreich auf Löschung oder
Herausgabe in Anspruch genommen wird, sofern durch die Handlung nicht die
Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 MarkG verwirklicht werden. Dieses zeigt auch
eine ähnlich gelagerte Entscheidung des OLG Köln (
Akz: 31 O 513/99
sog. Fahrplan - Entscheidung). Hier
wurde der Löschungs- bzw. Herausgabeanspruch des Klägers zurückgewiesen, da
sich ein solcher nicht durch § 1 UWG begründet wird und in dem Fall ein
Schadensersatzanspruch i.S.d Markengesetzes nicht bestehe.
Sofern sich das OLG Hamburg
auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichtes (LG Hamburg Akz: 315 O
531/97 ) bezüglich der Verwirklichung des § 8 Markengesetz bezieht sei
angemerkt, daß das Freihaltebedürfnis des § 8 MarkG ausschließlich und
abschließend für das Markenschutzverfahren anwendbar ist. Die Voraussetzungen
für eine analoge Anwendung sind m.E. nach nicht gegeben. Es fehlt ebenso an
einer für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke, als auch an der
Vergleichbarkeit der Fälle. Eine Domain ist kein gewerbliches, exklusives
Schutzrecht, sondern lediglich eine Adresse. Einem Dritten kann durch den
Domainbesitz nicht die Verwendung der Bezeichnung im geschäftlichen Verkehr
allgemein, sondern lediglich im Internet untersagt werden.
Die Frage, ob jeder
Domainbesitzer eines Gattungsbegriffes eine Dekonnektierung vornehmen sollte,
um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, läßt sich derzeit nicht abschließend
beantworten. Nach Auffassung des Verfassers bestehen erheblich Zweifel daran,
ob die Entscheidung des OLG Hamburg auch in der Revisionsinstanz Bestand haben
wird. Die Entscheidung des OLG ist aus rechtlicher Sicht durchaus kritisch zu
bewerten, auch wenn sie möglicherweise aus rechtspolitischer Sicht (zukünftige
Rechtssicherheit und Wettbewerbsgleichheit) für den ein oder anderen
begrüßenswert erscheint.
Aus diesem Grunde wird man
nicht generell anraten können eine Dekonnektierung vorzunehmen. Vielmehr ist
diese Entscheidung einzelfallspezifisch zu beurteilen und hängt u. a. davon
ab, welcher Begriff konkret als Domainname reserviert ist, wie risikobereit
der Inhaber ist und ob der wirtschaftliche Nutzen der Domain im Verhältnis zum
Prozeßkostenrisiko steht. Interessierten Lesern empfehle ich die Lektüre des
Urteils des
OLG Hamburg und den Artikel von Herrn Kaufmann in der Zeitschrift ct Ausgabe
1/2000, Seite 70 ff.
7.01.2000, T. Geißler, alle
Rechte vorbehalten
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